Der Sucher

Dezember, 2023

Tana French

Eine irische Krimiautorin, die mir in Sauerbrunn empfohlen wurde.

Ich lache selten, wie bereits in meiner Buchempfehlung zur Serie „Lost in Fuseta“ angemerkt. Beim Lesen der Lost-Serie passiert es mir ab und zu. Seltener, aber doch, auch beim Lesen von Tana French.

Zum Schluss las ich ihr fünftes Werk, „Geheimer Ort“, das in einem elitären Mädcheninternat in Irland spielt. French lässt auch hier in vielen Situationen den Zuckerguss unausgesprochener sozialer Vereinbarungen und Schönfärbereien schmelzen. Alle Schichten davon. Und wenn man glaubt, dass man tief genug gesehen hat, dann lässt sie oft noch die fast aller Täuschungen beraubte soziale Konstruktion zusammenkrachen.

Auslöser für Lachen ist im Allgemeinen fast immer ein plötzlicher Perspektivenwechsel, ein Wechsel des Rahmens, in den wir unsere Vorstellung von „Wirklichkeit“ gehängt haben. Wenn das Wegnehmen einer Täuschung plötzlich, von einem Satz auf den anderen, passiert, provoziert das Lachen. Wie auch bei Tana French.

Wenn die Autorin alle Tarnungen und Täuschungen mit Zynismus weggebrannt hat, streicht sie manchmal auch eine Salbe der Barmherzigkeit über die Wahrheit. Hat sie die handelnden Personen, vor allem in deren Dialogen, bis auf die Knochen entblößt, betritt manchmal Schönes den Raum. Woanders könnten einige der dabei verwendeten Beschreibungen kitschig wirken, bei ihr nicht.

In der Danksagung am Ende eines Buches schreibt sie von Nächten mit zu viel Alkohol und Zigaretten. Vielleicht ist dies ihre persönliche Strategie, die vielen Demaskierungen der sozialen Situationen auszuhalten. Sie verletzt damit immer wieder Tabus, was im normalen sozialen Leben üblicherweise zum Ausschluss aus der Gemeinschaft führt. In „Lost in Fuseta“ kann der deutsche Kommissar schonungslos ehrlich sein, weil er als Autist eigene und fremde Gefühle nicht wahrnimmt. Ähnlich wie vermutlich ein bekanntes schwedisches Schulmädchen. Tana French ist hier sicher anders.

Sie kann etwas, was viele Krimiautoren nicht können, trotz zum Teil hoher Auflagen. Sie kann erzählen. Auf einem Sprachniveau, welches man sonst nur bei Verfassern von – wirklich guten – Romanen antrifft. Sie ist zu einer Sprache fähig, die - vom Realistischen ausgehend - im Handumdrehen etwas Mystisches erzeugt. Das Lesen ihrer Bücher ist sehr anspruchsvoll – wenn man sich auf ihre Tiefe einlässt. Bei der Serie „Lost in Fuseta“ las ich einmal 300 Seiten an einem Tag, bei French war ungefähr ein Zehntel davon eine sinnvolle Menge für mich.

Die ersten sechs Romane („Dublin Murder Squad-Reihe“) haben in Bezug auf die Hauptpersonen Verbindungen untereinander, bauen aber kaum aufeinander auf. Bei ihrem letzten Buch („Der Sucher“) zeigt sie wie immer, wie gut sie erzählen kann. Die kriminalistische Handlung finde ich hier nicht besonders, die handelnden Personen kommen mir „leerer“ vor als in den ersten Romanen.

In den ersten Teilen ihrer Bücher, die meist an die 700 Seiten lang sind, liegt der Schwerpunkt auf den Beschreibungen der einzelnen Charaktere, ihrer Lebenswelt, ihrer sozialen Beziehungen und der sozialen Umwelt.  In „Geheimer Ort“ skizziert sie unter anderem, wie stark soziale Beziehungen zu beeinflussen sind, wenn man Anderes, Neues wagt.

In den hinteren Teilen der Bücher überwiegt die kriminalistische Handlung. Auch wenn es eine Leistung ist, den Spannungsbogen über viele hundert Seiten hinweg zu halten, lassen die Beschreibungen in mir mehr als nur Spannung und Aufregung anklingen.

Abgesehen von ihrem letzten Buch gab es bei mir gegen Schluss immer dasselbe, starke Gefühl zum jeweiligen aufgedeckten Mordfall, einschließlich der damit verbundenen Hintergründe und Motivationen, der Geschichten der Menschen, die damit verknüpft waren. Ganz von unten kroch dieses Dunkles, Abgrundtiefe vom Boden empor, und füllte langsam den Raum. Dunkel, feucht, und schwer.

Bedauern. „War es wirklich notwendig, dass …“ Und irgendwo in dem ganzen Trübnis erkannte ich auch Samen und Blüten von Menschlichkeit.

Helmut S.